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Traue Deinen Gefühlen. Ja. Nein. Jein!

Es gibt viele Ansichten und Meinungen zu Gefühlen. Auch aus dem Alltag sind diese Ansichten nicht wegzudenken. Floskeln wie: “Hör auf deine Gefühle”, “Lass dich von deinen Gefühlen leiten!” und “Sei nicht so im Kopf!” gehören zum Alltagsduktus dazu. Die Idee dahinter: Gefühle sind ein Kompass, der uns in die korrekte Richtung lenkt. Und um in die “korrekte” Richtung zu segeln, müssen wir nur unseren Gefühlen lauschen, sie wahrnehmen, spüren. Gerade bei Menschen, die in ihrem Leben selten auf ihre Gefühle hören, kann das ein echter Befreiungsschlag sein. Daher ist es unter gewissen Umstände berechtigt, solche Metaphern gezielt einzusetzen. Dennoch. So einfach und geradlinig ist es mit den Gefühlen nicht. Bringen wir daher Licht in den Nebel der Gefühle.

Wovon reden wir, wenn wir von Gefühlen sprechen? Gefühle sind ein Gebilde, welches Körperregungen (zum Beispiel Schmetterlinge im Bauch), Gedanken, Ahnungen und Erinnerungen beinhalten kann. Gefühle sind eine Art von Stimmung, in der wir uns befinden. Ähnlich wie es eine bestimmte Stimmung beim Sonnenuntergang oder Sonnenaufgang gibt. Man kann diese Stimmung nicht gänzlich in Worten fassen, sondern man muss sie eben erleben. So hält es sich auch mit den Gefühlen und das kann es schwierig machen, dem Gegenüber darzulegen, was man genau fühlt.

Nicht selten kann das Wahrnehmen von Gefühlen erst einmal für Verwirrung sorgen. Denn oft ist gar nicht klar, wem oder was wir da lauschen und auf wen oder was wir da hören sollen. Es können gar mehrere Gefühle auftauchen, die uns in eine jeweils ganz andere Richtung lenken wollen. Das eine Gefühl sagt: “Entferne dich aus dieser Situation!!!”, das andere Gefühl signalisiert: “Es kommt schon gut!!” Wem also glauben? Auch sind Gefühle wechselhaft. Den einen Tag nehmen wir ein wohliges Gefühl wahr, den nächsten Tag kann uns ein mulmiges, beunruhigendes Gefühle befallen. Ähnlich wie das offene Meer, welches je nach Wetterlage rau und stürmisch oder sanft und friedlich sein kann.

Gefühle haben auch die interessante Eigenschaft, sich ihre Daseinsberechtigung durch Sammeln von Beweisen zu erkämpfen. Befällt uns ein Gefühl des Misstrauens, sucht unser Gefühle nach Belegen in der Umgebung, die dieses Gefühl bestätigen. Beweise die dagegensprechen könnten, werden der einfachheitshalber ignoriert. In den fernöstlichen Weisheitslehren wird auch von den “hungrigen Geistern” gesprochen. In dieser Metapher sind die hungrigen Geistern unsere schmerzvollen Gefühle. Die hungrigen Geister schwirren auf der Erde umher und leben von dem Leid der schmerzhaften Gefühle. Ihr Futter sind Beweise, welche sich die Gefühle suchen, um ihre Daseinsberechtigung zu untermauern: “ich werde nicht geliebt”, “ich wusste es, niemand wird mich anrufen, niemanden interessiert, was ich empfinde”, “die Welt ist schlecht”, “ich kann niemanden vertrauen”. Diese Gedanken und die damit einhergehenden Körperreaktionen sind ein Festmahl für die “hungrigen Geister”, die mit jedem Leckerbissen, grösser und stärker werden und somit, immer mehr Futter brauchen.

Ein weiteres Phänomen ist es, dem ersten Gefühl was einen befällt, hat eine sehr hohe Bedeutung zu geben. Oft ordnen wir dieses erste Gefühl als unser Bauchgefühl, manchmal auch unsere Intuition, ein. Um so mehr kann es verwirren, wenn sich weitere Gefühle überlagern und uns unterschiedliche Signale senden. Was tun? Auf welches Gefühl hören? Und welche Gefühle darf mitfühlenden beobachtet werden ohne gleich darauf zu regieren?

Im Grunde genommen wollen wir unseren inneren Kompass im Umgang mit Gefühlen neu eichen. Und um dies zu tun, müssen wir uns die Grundpfeiler der Gefühlslandschaft bewusst machen:

1 Gefühle sind ein Spiegel unserer Geschichte

Gefühle sind ein Spiegel unserer Erfahrungen und (und dieser Punkt ist sehr wichtig!!!) unseres Narrativs, welches wir uns anhand dessen was wir erlebt haben erzählen! Nehmen wir an wir haben in der Schule die Erfahrung gemacht, von Mitschülern ausgegrenzt zu werden. Als erwachsene Person treten wir mit dieser Geschichte einen neuen Job an und bei der ersten Teamsitzung befällt uns ein mulmiges Gefühl, das uns signalisiert, dass wir uns hier nicht wohlfühlen. Nun kann es in der Tat sein, dass der Job und das Team nicht die Richtigen für uns sind. Dennoch bedarf es meist mehr Begegnungen, um das wirklich sagen zu können (wie oft habt Ihr schon gedacht: ach, die sind ja ganz nett. Am Anfang dachte ich, dass….). Wichtig ist es sich darüber klar zu sein, welche Vorerfahrungen wir in die Situation reinbringen, die unser gegenwärtiges Erlebnis trüben könnten. Ein weiteres Bespiel: Eine junge Frau wurde bereits mehrere Male in ihrem Leben von ihrem Partner betrogen. Das hinterlässt Spuren und kann dazu führen, dass sie bei neuen Begegnungen und Dates schneller ein ungutes Gefühl bekommt und sich aufgrundessen immer mehr dem Gegenüber verschliesst. Das Gegenüber spürt dies und zieht sich ebenfalls zurück. Die Angst und Sorge der Frau bestätigt sich. Daher ist es unerlässlich zu wissen, welche Vorerfahrungen unser gegenwärtiges Gefühlsleben trüben können.

Fazit: Mensch kenne Dich! ist in der Tat eine wichtiges Credo im Umgang mit Gefühlen.

Impuls: Schreibe Dir zwei bis drei schmerzhafte Erfahrungen auf, die Dich geprägt haben und von denen Du den Eindruck hast, sie könnten Dein heutiges Gefühlsleben beeinflussen. In Momenten in denen Du aufgrund unruhiger Gefühlswellen Orientierung brauchst, rufe Dir Deine Wunden in Erinnerung und frag Dich, inwiefern diese zu Deinem gegenwärtigen Gefühlsleben beitragen könnten.

2 Gefühle gleichen einer Wetterfahne

Gefühle signalisieren uns erst einmal, dass sich etwas in unserem Empfinden verändert hat. Vielleicht schlägt das Herz schneller, wir spüren einen Druck in der Magengrube. Vielleicht ging uns ein bestimmter Gedanke, eine Erinnerung durch den Kopf. Nicht mehr, nicht weniger!! Der Wechsel von Gefühlen kann von mehreren Dingen abhängig sein. Zum Beispiel eine Veränderung in der Umgebung: ein Schatten der aus der Ferne auf uns zukommt, das zweideutige Lächeln des Gegenübers, ein Geruch. Aber auch Körperprozesses können Gefühle beeinflussen, wie z.B. hormonelle Veränderungen aufgrund von Krankheit oder der monatliche Zyklus. Es gibt sogenannte Top-Down Prozesse, bei denen Gefühle durch Gedanken oder Erinnerungen ausgelöst werden. Gleichermassen gibt es Bottom-Up Prozesse, bei denen Körperprozesse wie z.B. hormonelle Veränderungen aber auch Ernährung (Kaffee- und Alkoholkonsum zum Beispiel) und Wetter (Hitze oder die dunklen Wintermonate anyone!) einen Einfluss auf die Gefühle haben können. Das heisst, nicht jedes Gefühl muss gleich an unsere Geschichte, unser Narrativ gekoppelt sein. Manchmal ist es einfach ein dunkler trüber Herbsttag. Wie wir darauf reagieren, kann jedoch sehr wohl an unsere Geschichte, unsere Erfahrungen gekoppelt sein (siehe 1).

Fazit: Gefühle signalisieren, dass sich etwas in unserem inneren oder äusserem Milieu verändert hat. Wir können daraus schliessen, dass wir auf etwas reagieren.

Impuls: Überlege Dir drei Dinge, von denen Du weisst, dass sie Dein Gefühlsleben beeinflussen können. Denke dabei an eine Sache auf der körperlichen Ebene (z.B. wenig Schlaf, Zyklus), auf der seelischen Ebene (z.B. ein Gedanke wie: Das schaffe ich nie!) und auf der sozialen Ebene (z.B. mein Team schaut desinteressiert rein, während ich einen Vortrag geben).

3 Gefühle sind ein Spiegel unseres Temperaments

Neben den oben genannten Faktoren, spielt auch unser Temperament eine grosse Rolle. Schaut man sich Babys an, merkt man schnell, dass jedes Baby sein eigenes Temperament mitbringt. Dass eine braucht mehr Nähe, das andere weniger. Das eine weint mehr, lässt sich kaum beruhigen. Das andere isst und schläft friedlich vor sich her. Unser Temperament hängt natürlich auch mit unseren Emotionen und Gefühlen zusammen. Durch diese äussert sich unser Temperament. Und entgegen John Lockes Ansicht, dass jeder Mensch als ein unbeschriebenes Blatt auf die Welt kommt (Tabula rasa), wissen wir heute, dass viele “vorgeburtliche” Faktoren wie zum Beispiel Stress der Mutter während der Schwangerschaft, selbst transgenerationale Effekte wie zum Beispiel Kriegserlebnisse der Grosseltern, einen Einfluss auf unser Nervenkostüm und unser Temperament haben können. Abgesehen davon gibt es noch viel, was man in dieser Hinsicht nicht weiss. Aus buddhistischer Sicht kommen wir mit Karma aus einem vorherigen Leben auf die Welt. Nach dem christlichen Weltbild wohnt uns eine Seele inne. Wenn man sich nur einen Moment für solche Möglichkeiten öffnet, erkennt man, dass es noch vieles gibt, was wir nicht wissen. Ich denke die heutige Wissenschaft steht in dieser Hinsicht noch recht am Anfang und Computermodelle alleine werden diese Fragen nicht beantworten können.

Fazit: Es gibt noch vieles zu entdecken. Was wir aber nach heutigem wissenschaftlichen Stand sagen können ist, dass wir nicht nur durch unsere Erziehung und Kindheitserlebnisse geprägt werden. Sondern, dass wir eben auch unser eigenes Temperament mit auf die Welt und ins Leben bringen. Unser Temperament wiederum hat einen Einfluss auf unser Gefühlsleben.

Impuls: Schau Dir Kinder- oder Babyfotos von Dir an. Vielleicht fragst Du Deine Eltern oder Bezugspersonen, welche Eigenschaften Du als Baby oder Kleinkind gezeigt hast. Zwar sind wir schon sehr schnell offen und empfänglich für soziale Einflüsse (Babys in Kriegsgebieten werden logischerweise mehr weinen. Sie nehmen den Stress, der um sie herum passiert wahr), doch meist kann man durch diesen Austausch ein Gefühl (wo wir beim Thema sind), für das eigene Temperament bekommen.

4 Gefühle sind ein Wegweiser in die Zukunft

Hier wird es spannend. Oft werden Gefühle mit der Vergangenheit in Zusammenhang gebracht. Gefühle können sich aber gleichermassen auf die Zukunft beziehen. Wie? Gefühle sind sehr eng mit unseren Werten verkoppelt. Wir können uns Werte als eine Art Lichtsäule der Zukunft vorstellen, die uns den Weg in die Zukunft weist und uns sagt, wie wir entsprechend im Alltag handeln müssen. Werte signalisieren uns, was uns im Leben wichtig ist. Das ist nicht zu verwechseln mit Zielen, die wir messen und erreichen können und die uns dementsprechend zu konkretem Handeln auffordern: studieren und ein Diplom erhalten, etwas kaufen was wir dann in den Händen halten, abnehmen oder zunehmen und die Gewichtsveränderungen am Körper beobachten. Oft leiten wir unbewusst unsere Ziele von unseren Werten ab. Ist uns Anerkennung über das Aussehen wichtig, werden wir uns viele Ziele im Leben setzen, um eben gut auszusehen. Ist uns Verbundenheit mit der Natur wichtig, werden wir versuchen, viel Zeit in der Natur verbringen zu können. Leben und Handeln wir im Einklang mit unseren Werten, so erleben wir meist wohlig, warme Gefühle. Handeln wir entgegen unserer Werte oder stehen unsere Werte in einem Konflikt zueinander, dann werden wir wahrscheinlich unangenehme Gefühle im Alltag erleben. Auch diese unangenehmen Gefühle können wir als hilfreich ansehen, denn sie signalisieren uns, dass wir etwas in unserem Leben anpassen dürfen.

Fazit: Sich der eigenen Werte bewusst zu sein und sein Handeln entsprechend auszurichten ist gerade in der heutigen Welt, in der wir viele Unstimmigkeiten erleben, wichtig. Werte können in dieser Welt Deine Konstante sein, wenn im Aussen gefühlt gerade Chaos herrscht. Zudem können Dir Deine Gefühle signalisieren, ob Du im Einklang oder in Dissonanz mit Deinen Werten lebst.

Impuls: Schreibe Dir drei Werte im Leben auf, nach denen Du leben möchtest. Wenn Du Dir diese Werte anschaust, fühlen Sie sich stimmig für Dich an? Musst Du etwas anpassen? Dürfen Sie so bleiben? Kannst Du die drei Werte priorisieren? Ist Dir ein Wert besonders wichtig? Stimmen die Werte an sich überein oder stehen die Werte im Widerspruch zueinander? Was müsste sich ändern, damit die Werte sich gegenseitig ergänzen, unterstützen? Lebst Du Dein Leben im Einklang mit diesen Werten? Oder lebst Du eigentlich nach anderen Werten? Vielleicht den Werten anderer?

Die genannten Impulse sollen Dich in Deinem Umgang mit Gefühlen unterstützen. Gefühle sind wichtig. Es geht vor allem darum, mit unseren Gefühlen zu leben. Es lohnt sich, nicht gleich auf jedes Gefühl zu reagieren, sondern innezuhalten. Wir brauchen Raum und Zeit uns und unsere Gefühle im Alltag zu reflektieren. Ohne eine gesunde Reflexion laufen wir Gefahr, uns im Nebel der Gefühle zu verlaufen, manchmal auch zu verlieren. Aber wie Du anhand der Impulse sehen kannst, ist es gar nicht so schwierig, die Orientierung wieder zu finden. Daher nimm Dir die Zeit Dich und Deine Gefühle im Alltag zu reflektieren.